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"Wem die Stunde schlägt"
Die Rumäniendeutschen als Brücke zwischen zwei Völkern?
von Claus Stephani

Spricht man heute von Rumänien, übersieht man oft, daß dieses Land in mancher Hinsicht ein Beispiel multiethnischer und multikultureller Koexistenz ist: Nirgendwo in Europa leben so viele unterschiedliche Ethnien, was Sprache, Traditionen und Religion anbelangt, beisammen - in Städten, doch auch in Dörfern und sogar in kleineren Siedlungen.
Derzeit gibt es zwanzig von der Regierung anerkannte nationale Minderheiten, die bemüht sind, ihre eigene Identität zu behaupten, zu pflegen und zu bewahren; dazu gehören Christen, Juden und Moslems sowie Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften.
Eine dieser ethnischen Minderheiten, die Rumäniendeutschen, spielten einst, besonders in wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen, eine herausragende Rolle. Nach den Folgen des Zweiten Weltkriegs, der Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion, 1945, den Evakuierungen, 1951-1952, und nach den Aussiedlungswellen, die besonders stark ab 1969 einsetzten, ist ihre numerische Existenz immer mehr geschrumpft.
Während ihre Gesamtzahl 1940 über 800.000 betrug, gab es 1948 noch 343.913 Deutsche, wovon 1950-1987 meist im Rahmen der Familienzusammenführung über 107.000 aussiedelten.
Ende Dezember 1989, nach dem Sturz Ceausescus kam "die Wende" und die Zahl der Aussiedler - 1950 waren es gerade 13 gewesen - kulminierte schließlich 1990-1995, als von rund 253.000 deutschen Einwohnern, hauptsächlich in Siebenbürgen und im Banat, über 176.000 das Land verließen.
Damit endete, kann man aus heutiger Sicht sagen, eine Geschichte, die im 11. Jh. begonnen hatte. Damals waren die ersten deutschen Siedler in diese Gebiete gekommen, die bis 1920 zum Königreich Ungarn gehörten, und sie ließen sich zuerst im Raum Sathmar (heute: Satu Mare) nieder.
Im 12. Jh. zogen dann die späteren Siebenbürger Sachsen ins Land, im 18. Jh. folgten die Schwaben im Banat, die Deutschen in der Bukowina, die Sathmarschwaben, die Landler in Südsiebenbürgen u.a., die man heute zusammenfassend Rumäniendeutsche nennt.

W
ährend des kommunistischen Regimes, 1948-1989, wurden die Deutschen, rumänisch "germani", wie auch andere nichtrumänische Bevölkerungsgruppen, als "nationale Minderheit" geführt, d.h. als "rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität". Der Staat stellte ihnen Schulen mit deutscher Unterrichtssprache zur Verfügung, von denen heute noch 302 bestehen.
Es gab zwei deutsche Staatstheater, deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften, Verlage und Forschungsstellen sowie eine Vielzahl von Gesang- und Laienspielgruppen, die Tradition und Brauchtum pflegten.
Der Pferdefuß dieser "Nationalitätenpolitik" und ideologisch gelenkten Toleranz wurde dann sichtbar, als die Parteiführung immer deutlicher die Schaffung einer "einheitlichen sozialistischen Nation" anstrebte und die Rechte der Minderheiten auf allen Ebenen einschränkte.
Obwohl Rumänien "seine Deutschen" - zum Unterschied zu Polen, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Ungarn - nach 1945 nicht vertrieben hatte und das Verhalten der rumänischen Mehrheitsbevölkerung kaum chauvinistische Auswüchse zeigte, vermochten die Versprechungen der 1990 gewählten Regierung keine Hoffnungen auf einen Neubeginn zu wecken.
Die meisten Rumäniendeutschen waren, um es lapidar zu sagen, einfach zu müde, einen weiteren Kampf um die ständig gefährdete ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität zu führen. Die Lawine des Massenexodus, der plötzlich einsetzte, war deshalb nicht mehr aufzuhalten.
Zurück blieb vielerorts nach nur wenigen Jahren eine Landschaft von Ruinen - entvölkerte Dörfer, in denen heute manchmal ganze Straßen und Häuserreihen leer stehen, Bauten mit kunstvollem Stuckwerk, alten Inschriften und Jahreszahlen, die nun vom Gemäuer fallen und bald nichts mehr verkünden werden.
Bei vielen Bauernhäusern fehlen Fenster und Türen, manchmal auch schon die Dächer, so daß im Winter der Ostwind durch die einst bewohnten Stuben fegt oder der Mond in Räume scheint, wo sich noch vor fünfzehn Jahren abends die Frauen zum gemeinsamen Spinnen und Singen einfanden.
Kaum wahrgenommen vom restlichen Europa ist hier eine fast tausendjährige Geschichte lautlos zu Ende gegangen.
Und bald kräht wohl kein Hahn mehr nach den Rumäniendeutschen, heißt es, deren Vorfahren einst weite Gebiete besiedelten, urbar machten und am Rande Europas Kulturlandschaften aufbauten.
Die letzte Zeugen - Kirchen, Wehrburgen, Friedhöfe - blicken stumm in eine ungewisse Zukunft, um langsam zu verfallen.

I
m Jahr 2002 bekannten sich noch 60.088 Einwohner (von insgesamt 23 Millionen) zur "deutschen Nationalität", davon lebten



Städte mit größerem deutschem Bevölkerungsanteil sind:




Diese "Restbestände" der einstigen deutschen Bevölkerung haben sich im ethnischen Überlebenskampf in "Demokratischen Foren der Deutschen in Rumänien" (DFDR) zusammengeschlossen.
So gibt es derzeit fünf Regionalforen (Siebenbürgen, Banat, Nordsiebenbürgen, Bukowina, Altreich/Walachei), in denen 147 Ortsforen vereint sind.
Landesvorsitzender ist ein Siebenbürger Sachse, der Bürgermeister von Hermannstadt, Klaus Johannis.

Eine denkbare Aussicht aber auf einen Neubeginn, wie immer der auch aussehen würde, wäre möglicherweise die Aufnahme Rumäniens in das vereinte Europa.
Denn im Freundschafts- und Partnerschaftsvertrag mit Deutschland, den Rumänien am 12. März 1992 unterzeichnet hat, heißt es, "daß die deutsche Minderheit einen wertvollen Beitrag zum Leben der rumänischen Gesellschaft geleistet hat und weiterhin leistet und somit eine Brücke zwischen beiden Völkern begründet".
Auf dieser Brücke könnte vielleicht eines Tages eine Rückkehr mancher Rumäniendeutscher stattfinden - um dem Land wieder jene Tore zu öffnen, die nach dem Exodus verschlossen wurden.